Aus dem Jahr 2020
Das Syndikat wurde verkauft. Alles nur gekauft?
Das Syndikat in der Weisestr. Neukölln wurde verkauft und wird es nicht überleben.
Das Syndikat gibt es seit über 30 Jahren, es ist nicht nur eine Kneipe in Berlin Neukölln, es ist es ein Lebensgefühl und eine räumliche Realität.
Manche sagen, dass es eine Punkrock-Kneipe ist, andere eine Billiardkneipe und seit einigen Jahren sagt man, dass es eine Kiezkneipe ist. Was soll eine Kiezkneipe sein? Vermutlich keine Kneipe, in die man geht, um gesehen zu werden. Obwohl man dort ziemlich viele bekannte Gesichter sieht. Das Kneipenkollektiv vom Syndikat sagt, dass es Kultur von unten verteidigt. Jedes mal frage ich mich, welcher Kulturbegriff dort bedient wird. Gewiss wird mensch am Tresen bedient, und zwar gutes billiges Bier und alle möglichen Getränke, gut und billig. Sich in der Kneipe zu treffen, sich einfach dort treffen zu können und möglicherweise einen Großteil der Nacht bleiben zu dürfen, ist bestimmt ein Kulturgut. Außerdem liegt dort viel wertvolle Literatur. DIY Flyer, Zeitschriften, Leaflets, Hefte, nochmals Flyer zu Veranstaltungen und Aktionen, die in der Stadt los sind. Es ist also sowohl eine Bierkneipe als auch ein Informationszentrum.
Ach ja, und es gibt auch das Weisestraßenfest, das vom Syndikat mitorganisiert wird, aber deshalb wurde das Syndikat nicht gekauft. Für die gut betuchten Neuanwohner*innen des Kiezes zahlt sich Kultur von unten nicht genug im kulturellen Lebenslauf aus. Auch wenn ein paar City-Entdecker*innen sich ab und zu beim Straßenfest verirren, müssten sie schon ziemlich viel dazu dichten, um aus deren Abenteuern Kulturkapital zu schlagen, denn billige Essensstände, Punkrock-Konzerte und Infostände mit linkspolitischen Blättchen haben selten Anlass zum kulturellen Aufstieg gegeben. Aber wer weiß…
Auf jeden Fall haben diejenigen, die das Syndikat gekauft haben, nicht das Abenteuer gesucht, haben nichts entdeckt, die haben es nicht mal gesehen.
Pears Global hat das Syndikat und noch einige Häuser oder gar Straßenzüge erworben. Ich kann nicht über sie reden ohne, dass ich vom Ekel überkommen werde. Entweder schaltet sich mein Hirn aus oder der jedes Wort wirkt verharmlosend. Sie sind das perfekte Feindbild: globale Briefkastenfirma, wohinter eine Milliardärsfamilie steckt, zerstören das Leben von Menschen, ohne sich jemals die Hände schmutzig zu machen, unerreichbar, unantastbar. Wie viele Gesetze sie gebrochen haben, ob man mit ihrem Tun einverstanden ist oder nicht, ist völlig wurscht, denn am Ende wird der Staat deren Eigentum mit allen Mitteln schützen. Und dieser Tag ist gekommen.
Seit anderthalb Jahren hat das Syndikats-Kollektiv alles nach dem bürgerlichen Drehbuch gemacht: die Machenschaften von Pears Global aufdecken und darauf aufmerksam machen, an die Presse gehen, die Anwohner*innen mobilisieren, die Milliardärfamilie besuchen, vor Gericht ziehen, Demonstrationen organisieren, sich mit anderen Mietkämpfen solidarisieren, und und und. Der Räumungstermin ist gekommen.
An diesem Tag ist es bedeutungslos, ob für Hunderte, Tausende, in einer Stadt die ihnen schon längst nicht mehr gehört, das Syndikat ein wichtiger Ankerpunkt ist. Fakt ist, das Haus wurde verkauft und der Staat und ihre Handlanger wird die neuen Eigentümer unterstützen, damit es in deren Besitz kommt. Punkt.
Spätestens seit dem Ende des Corona-Lockdowns ist das Viertel mit Plakaten für den Erhalt des Syndikats zugepflastert. An den Balkonen hängen Wimpel und Banner mit „Syndikat bleibt“ oder einfach „Syndi bleibt“, es finden Strassen-Soliparties und Demonstrationen statt, denn nicht nur wer nicht kämpft hat schon verloren, sondern wer weiß, dass er verlieren wird und nicht kämpft, hat schon lange seine Würde verloren.
Der Countdown läuft und das Syndikatskollektiv wirkt immer mehr müde. Eine Veranstaltung / Kundgebung zu Zwangsräumungen, ein Straßenfest mit Konzerten, und eine Großdemo wofür bundesweit ausgerufen wurde, haben sie noch organisiert. Die ersten Küchengeräte sind an andere Kollektive verschenkt worden. Diese Woche findet das letzte Syndikatsstraßenfest statt: am Abend vor der Räumung.
Ein fröhliches Ende könnte man denken.
Letzten Samstag war ich mit ein paar Freund*innen bei der (letzten?) Demonstration für das Syndikat: „Raus aus der Defensive“ war das Motto. Doch andere waren in der Offensive.
Wir haben uns am Herrfurthplatz versammelt, Tausend, Zweitausend Menschen jung und alt, aufgeregt oder ruhig, alle solidarisch.
Überall: Polizeiwannen und Kolonnen von schwarz gepanzerten, behelmten Beschützern dessen, was unser Leben mies macht.
In den sehr kurzen Redebeiträgen wurde angekündigt, dass bei dem ersten Anzeichen Polizeigewalt, die Demonstration aufgelöst wird, und schon sind wir los marschiert. Durch die Herrfurthstr. über die große Hermannstr., die endlich für uns war, in die kleine Straße, die zum Jobcenter Neukölln führt. Gleich bei den ersten hundert Metern, habe ich ein paar Freund*innen aus Berlin Mitte getroffen, denen das Syndikat auch was bedeutet. Nach einer kurzen Atempause am Jobcenter, runter zum Boddinplatz und gleich die Boddinstr. hoch wieder zur Hermannstr. Dort blieb die Demonstration plötzlich stehen. Abgesehen von verunsicherten Demonstrant*innen und Cafégäste, die auf dem Bürgersteig ihren Kaffee genossen, war nicht viel zu sehen, als plötzlich die gewaltbereiten schwarzgekleideten Hater in die Menge losmarschierten. Zeitgleich rannten Demonstrant*innen die Hermmannstr. hoch und flüchteten in die Seitenstraßen. Die Bullen rannten, hauten in die Menge, griffen nach rennenden Menschen, schleuderten sie auf den Asphalt. Überall Schreie.
Bei dem Angriff der behelmten gewalttätigen Beamten war unsere erste Reaktion sich mehr oder weniger in Sicherheit zu bringen. In die Nähe der Kaffeetrinkern, egal wo, Hauptsache wo weniger Chance bestand gehauen zu werden.
In Sichtentfernung wollten die Bullen weiterhin Demonstrant*innen wegzerren und prügeln; Ein Junge warf eine Flasche in deren Richtung und verfehlte sein Ziel. Für ein Bruchteilsekunde schien er selbst von seiner Tat erstaunt. Auf jeden Fall rannte er nicht schnell genug weg und eine Horde von geschulten Gewalttätern stürzten sich auf ihn, zerrten ihn zum Boden und fingen an zu schlagen. Sofort rannten Demonstrant*innen, sogar Cafébesucher*innen, zu der Schlägertruppe, versuchten den Festgenommenen zu helfen, und andere filmten das Geschehen. Währenddessen schrie und weinte die junge Freundin des Menschen der am Boden lag: „… bleib mit mir, bleib mit mir!“ und die Gewalttäter schieben sie immer wieder brutalst zurück. Der junge Mensch wurde zu einer Wanne weggeschleppt, verachtungsvolle Schreie schallten durch die Menge, wir blieben aber alle hilflos stehen.
Die Demonstration wurde offiziell beendet.
Wenn ich mir heute die Presseberichte dazu anschaue, dreht sich mein Magen um, denn wer die Angreifer gewesen sind, wird dort selbstverständlich nicht erwähnt. Wie zu den guten alten Zeiten, wo man nicht die Presse gegenüber rechten Spinnern verteidigen musste…
Das war die Samstagsabend-Demonstration für den Erhalt des Syndikats. Bullenwägen fuhren noch Stunden lang im Viertel herum, ein Hubschrauber kreiste im Himmel.
Am Donnerstag ist das letzte Straßenfest mit dem Syndikat. Und vergiss nicht, wer ohne Syndi ist, der werfe den ersten Stein.1
- In allen Ehren, muss ich darauf hinweisen, dass der Spruch auf einem Demonstrationsschild gesehen wurde. ↩︎