Tag Archives: Fiktion

Das Mädchen, das durch die Zeit sprang

Frau Lorenz und Herr Lorenz sind vom Lehrer ihrer zwölf jährigen Tochter Nina in die Schule bestellt worden.

Herr Mahner, ein junger engagierter Lehrer hatte ihnen gesagt, dass er gerne mit ihnen überlegen wollte wie Nina sich besser auf die Schule fokussieren könnte. Vom Lehrer bestellt zu werden ist immer eine ärgerliche Angelegenheit egal, ob er das gut meint oder nicht. Man weiß nie genau was er bemängeln wird, denn er ja Leute nicht bestellt um ausschließlich ihre Kinder zu loben. Ist Schule nicht die Kunst Mängel zu entdecken? Und man weiß auch nicht, ob der Lehrer erzählen wird, dass das eigene Fleisch und Blut so verdorben sei, dass es nur mit äußerter Anstrengung gerettet werden kann und man hat ja sonst genug Sorgen. Das dachten auf jeden Fall Ninas Eltern auf den Weg zur Schule. Nina, begleitete sie, und erzählte von der letzten Klassenarbeit in Physik, dass es ihr gefiel Lichtphänomenen zu beschreiben, und es sei nicht ihre Schuld, dass sie keine eins bekommen hatte. Die Eltern hörten freilich nicht zu.

In der Schule angekommen, fragten sie Nina, ob sie mitkommen wolle oder lieber im Hof bliebe. Da sie nichts Besonderes mit dem Lehrer vorhatte, zog sie den Hof vor.

Kaum hatten Frau Lorenz und Herr Lorenz Platz im Klassenzimmer angenommen, fing der Lehrer Mahner an: „Es freut mich, dass sie beide gekommen sind, ich möchte gerne meine Schüler besser kennenlernen und dabei hilft es, die Familie als Ganze kennenzulernen.“ Frau Lorenz hatte schon Fluchtgedanken. „Warum müssen sich Lehrer heutzutage in das Privatleben der Leute einmischen?“ dachte sie.

Der Lehrer fuhr fort: „Nina kommt gut mit dem Schulstoff klar, insbesondere in Geschichte und Literatur und vor allem ist sie sehr Kreativ. Sie beschwert sich aber oft, dass sie müde und dass alles zu viel sei, sie klagt vor Kopfschmerzen. Wissen sie woher das kommen könnte?“

„Was so viel heißt, ich frage indirekt und unschuldig, ob ihr Schuld seid.“ Dachte Frau Lorenz. Sie hielt es für Weise zu schweigen und einen erstaunten Gesichtsausdruck zu nehmen. Herr Lorenz sagte, dass Nina möglicherweise abends lange im Bett las und, dass sie ab heute darauf achten würden, dass sie wirklich zur Bestzeit das Licht ausmacht. Als guter Bürokrat wusste er, Aktivität vorzutäuschen ist das sicherste Manöver.

Währenddessen im Hof, legte Nina ihrem Springseil auf den Asphalt und saß daneben erschöpft. „Als ob es einfach wäre.“ dachte sie. „Kaum springe ich, lande ich wo Neuem und es sieht auch noch total anders aus. Mal bin ich am Strand, mal in einer großen Stadt, mal ist es Nachts, mal ist es Sommer, mal Winter und es schneit, sogar am Strand! Und vor allem flitze ich durch die Geschichte. Was war das für eine Zeit, wo ich gerade war, hätte das Mittelalter sein können, oder eine nicht existierende Zeit mit Leuten, die gerne wie verrückt Karneval feiern. Das ich kaputt bin ist nicht verwunderlich, ist es ein Grund die Eltern zu bestellen? Ich würde gerne die Lehrer sehen, wenn die fünf Mal am Tag, sagen wir mal, ins Flugzeug steigen müssten. Und ich würde schön lachen, wenn sie nach einem Flug das einen Bruchteilsekunde dauert, plötzlich eine Hexenverfolgung sehen oder gegenüber ein paar Neandertaler stehen würden, egal ob diese nett sind oder nicht.

Sie überlegte wie sie aus dieser permanenten erschöpfenden Situation herauskommen könnte. Gar nicht mehr springen, immer vorsichtig laufen wäre eine Möglichkeit, aber wie langweilig! immer die gleichen Straßen, die gleichen Menschen mit den gleichen Problemen…

Sie legte ihren Kopf in ihren Händen und schaute Gedanken verloren vor sich hin. Ihre Eltern kamen gerade aus dem Schulgebäude raus.

„Ob die nicht ab und zu springen?“ dachte Nina. „Nicht mal ein wenig? Müde sehen sie auf jeden Fall aus“.

„Na gut,“ sagte sie leise zu sich selbst, „wenn ich erwachsen bin, werde ich weniger springen auch weniger durch die Zeit und müde werde ich trotzdem sein aber wer weiß vielleicht kann ich bis dahin so viel trainieren, dass mir der Kopf nicht mehr so dreht, und dann kann ich meine Lieblingszeit auswählen, Sommer z. B. am Anfang des 20. Jahrhunderts, und vielleicht kann ich Reiseleiterin werden und Sprungtraining anbieten. Und bei diesem Gedanken war sie schon mal nicht durch die Zeit gesprungen, die Zeit war durch sie gegangen und alles deutete darauf hinaus, dass sie bald weniger durch die Zeiten hin und her wandern würde.