Eine Solotänzerin auf dem Asphalt
Posted by loulou on November 16, 2025
In der Stadt bewege ich mich grundsätzlich mit dem Fahrrad. Ein altmodisches Analogmodel, wo man ordentlich auf die Pedale drücken muss. Mein Fahrrad hat hinten einen Korb, um Einkäufe betätigen zu können, aber vorne eine gelbe Blume am Lenker, damit ich es in der Menge der parkenden Fahrräder wieder finden kann. Es ist sehr nützlich, wirklich. Stellt euch vor, ihr habt gerade euren Fahrrad vor dem Supermarkt geparkt, da wo noch Platz war, im Supermarkt habt ihr vierzig Minuten verbracht, weil ihr den Essig gesucht habt, auf der Suche ganz viele Sonderangebote bewundert habt, und an der Kasse jemand ein Smartguthaben zurückgeben wollte, weil es nicht so smart war, aber Zurückgeben ging nicht. Ihr kommt aus dem Supermarkt und steht vor einem Meer schwarzer Fahrräder bis zum Horizont. Würdet ihr noch wissen, wo genau euer Gefährt steht? Ich brauche nur einen Blick nach rechts und nach links und schon sehe ich die gelbe Blume in der Menge leuchten.
In Städten braucht man Tricks und Überlebenswillen. Manchmal auch den Drang zur Sabotage.
Wenn ich vormittags zur Arbeit fahre, schlängle ich mich zunächst zwischen den Autos hindurch. Mist, ich habe schon wieder mein Helm vergessen! Wenn ich die Fahrradspur erreicht habe, reihe ich mich hinter den flitzenden Rädern ein. Meine Bremsen funktionieren gut und ich kann mühelos ein paar Fußgängerinnen, zerbrochenen Flaschen vom letzten Karneval der Kulturen und herum liegenden Mieträdern ausweichen. Andere Fahrradfahrerinnen überholen mich und verschwinden in die Ferne. Es ist Sommer, es ist heiß, es sind noch mehr Fahrräder als sonst aber nicht weniger Autos, Mofas, LKWs, Rikschas und sonstige Fortbewegungsmittel. Ich entschleunige kurz, denn vorne schreit eine Fahrradfahrerin einen LKW-Fahrer an. Sie ist rot und wütend. Ein weiterer Fahrradfahrer kehrt um, um auch den LKW anzuschreien. Man muss es ihm zeigen!
Wenn ich bei der Arbeit ankomme, sind alle Fahrradstangen schon belegt, ein paar beschissene Mieträder sind seit Tagen dort befestigt. Ich arbeite bei einer großen Institution mit Sicherheitsschutz, also tue ich so als ob mich die Anwesenheit der Mieträder meine Zerstörungslust nicht entfachen würde. Ich weiß eh, dass es um die Uhrzeit eine freie Laterne um die Ecke gibt.
Nach der Arbeit ist es vor der Arztpraxis das gleiche Szenario. Zwei Urrah-Räder, rot leuchtend schön säuberlich an den Stangen befestigt. Sie sind so protzig, dass sie den Platz von vier Rädern in Anspruch nehmen. Sie verhöhnen mich. Ich befestige mein Fahrrad an einem der Produkte dieser widerlichen Firma. Ein Blick nach links, ein Blick nach rechts und ich steche den Schlauch eines Uber-Rads mit einer Pinnnadel, die ich dabei habe. Ich habe einen Freund, der meint, diese Firmenräder seien nicht die wirklichen Feinde und er ist ganz empört über meinen Kreuzzug. Andere Freunde finden das ganz gut. Einer hat Kabelbinder und einen Hund, der sich sehr gern in der Nähe der bunten e-bikes erleichtert.
Was werden wir aber machen, wenn die E-Roller kommen? Nun sind die E-Roller gekommen und wir konnten nichts machen. Bulldozersicher sind sie gebaut worden.
Kurz davor waren es die e-Skooters. Davor sind kaum Skooters in Berlin gesichtet worden. Jetzt rattern sie meine Straße hoch und runter. Pflastersteine stören sie nicht und ich habe Lust sie mit eben solchen Steinen zu bewerfen.
Zwischen den Rollern, Autos, LKWs, Skooters, Fahrrädern, Rollschuhe, sind die Minibusse der Berliner Verkehrsbetriebe. In vielen Ländern sind öffentliche Verkehrsbetriebe quasi inexistent, manchmal übernehmen Motorradfahrer die Kurzstrecken, andere Male sind es Fahrrad oder Menschen getriebenen Rikshas, Großraumautos, Minibusse…
Hier haben scheinbar die öffentlichen Verkehrsbetriebe entschieden, dass sie ein bisschen mehr diesen Länder ähneln sollten. Anstatt den Verkehr mit Bussen, Straßenbahnen oder ähnlichem auszubauen, wurden bunte Großraumautos eingeführt. Aber Achtung, die kann man per App bestellen! Deshalb ist es gaaanz anders, viel mehr angepasst an den Bedarf einer modernen Großstadt. Es geht darum „Verkehrslücken“ zu schließen. Doch, doch, es gibt Lücken im Verkehr. Auf jedenfalls in den Innenbezirken, wo U-Bahnen in drei- und Busse in Fünfminutentakt fahren. Dazwischen gibt es zahlreiche Lücken, denn in der Tat, im Stadtzentrum, parken diese Taxis in den Lücken zwischen den Fahrrädern und laden aus und ein.
Das alles ist jedoch nicht permanent in Bewegung, es muss auch mal ruhen. Am meisten Platz nehmen dabei die Autos. In meiner Straße scheinen manche am liebsten vor unserer Ein- und ausfahrt zu parken. Im Haus hat keine/r ein Auto, also könnte es uns egal sein. Die blockierte Ausfahrt bringt aber kleine Unannehmlichkeiten des Stadtlebens mit sich, wie Mülltonnen, die nicht geleert werden, und eine gesperrte Feuerwehrzufahrt bei Unfällen. Drei Monate lang, habe ich einen drei-Stufen-Plan durchgeführt.
Stufe eins – oder die pädagogische Stufe: ein Schild an den Autos anbringen mit der höflichen Anmerkung, dass sie in eine Zufahrt parken, dass dadurch oben genannte Probleme entstehen und die bitte woanders zu parken.
Stufe zwei – oder die Berliner Stufe: Ein Schild mit dem Hinweis „Hier ist eine Zufahrt, fahren sie weg oder wir rufen das Ordnungsamt an!“ (oder die Polizei je nach dem). Das große gesprühte Parkverbotszeichen vor der Tür war auch teil dieser Stufe.
Schließlich Stufe drei – die militante Stufe: entsprechende Sticker auf die Autospiegel kleben und ab und zu einparkende Autofahrer verbal bedrohen. Die nicht geleerten Mülltonnen haben wir jedoch nicht auf die Motorhaube geworfen.
Wenn nichts hilft, und man keine Lust hat die Polizei, die ohnehin nichts tun würde, anzurufen, hofft man auf eine höhere Kraft. Sie kam eines Tages in ihrer urbanen Form: als angestellten des Ordnungsamts, die auf den Bürgersteig fahrende Räder um 10 Euro erpressten.
In der Hoffnung sie von ihrer Mission abzulehnen ging ich auf sie zu und fragte, ob sie auch die Autos vor unserer Zufahrt verschleppen würden. „Ja sagte der eine“, „es hängt davon ab“ meinte die andere. „Toll was soll ich denn machen?“ „Hier ist die Visitenkarte des Ordnungsamts Neukölln, wenn sie mit ihrem Auto nicht rein können, rufen sie diese Nummer an.“ „Wie ist denn ihre Zufahrt, parken Autos bei ihnen im Hof?“ „Es parken keine Autos, aber die Mülltonnen, die Feuerwehr, die können nicht rein, es ist ein Problem, oder?“ „In diesem Fall sind wir nicht zuständig.“ „Es muss doch was möglich sein oder, es kann nicht erlaubt sein, es ist ein Problem, stellen sie sich vor….“. „In diesem Fall können sie die Polizei anrufen, in Vorkasse für das Abschleppen gehen und dann dem Autobesitzer die Rechnung schicken“.
Es hilfst nichts. Keine Tricks, keine Sabotage, kein Dreiphasen-Plan, kein Kaiser noch Tribun. Zumindest nicht als Einzelgängerin in der Stadt.
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