Haie an der Bucht

Posted by loulou on November 16, 2025

amstag in Juli am frühen Abend. Wolken am Himmel, Regen in der Luft.
Eigentlich wollten wir an den See zum Schwimmen; nun ist es die perfekte Gelegenheit zur Rummelsburgerbucht zu fahren. Wir wollen nicht an der Bucht schwimmen – manche behaupten es sei möglich – sondern zu einer Soliparty. Für Neuköllner ist die Rummelsburgerbucht eine ferne Insel, die man selten bereist und deren Sitten wir nicht kennen.
Vor zwei Monaten wurde dort ein Stück Land besetzt, so viel wissen wir, das wissen Viele sogar, aber vielmehr wissen wir nicht. Wie auch immer heutzutage wird sehr selten erfolgreich besetzt und mysteriöser ist auch noch, dass ein Stück Land besetzt wurde. Ein Haus, eine Wohnung ok. Aber eine Brachfläche? Kümmert es irgendjemand, dass eine Brachfläche östlich von Ostkreuz nicht mehr ganz brach liegt? Die Wagenburg – das kleine Wohnwagendorf das dort aufgebaut wurde – heißt Widerstrand. Widerstand an dem Strand der Rummelsburgerbucht für diejenigen die das nicht sofort verstanden hätten – Widerstand durch ihre Anwesenheit, Widerstand gegen die Bebauung, Privatisierung und Zubetonierung der Bucht.

Jedenfalls klingt es cool, eine Freifläche-Soliparty an der Bucht. Nichts schickes, nichts hippes aber geheimnisvolles. Also ab zum Strand!
Als wir das Tor der Halbinsel Stralau betreten, nämlich den S-Bahntunnel, sehen wir eine riesige Baustelle. Graue Betonwürfel dieser hervorragenden zeitgenössischen Berliner Architektur ragen empor.
Auch hier neben der S-Bahn wird gebaut, eng, viel, hoch und teuer. Es wird auf jeden Fall teuer vermietet und verkauft. Gleich hinter der Baustelle ist aber der kleine grüne Weg der zur Bucht führt.
Es fängt zwar zu regnen an, aber dort sind wir in einer anderen Welt, wuschelig und sandig mit kleinen Strandbarhütten, eine Wagenburg und auf der anderen Seite des Pfades, das Wasser der Bucht.
Wir fahren an einem Sandstrand vorbei. Zwischen den Regentropfen sehe ich einen Holztresen mit Zinkdach, weiter davon eine Plastikplane. Wir halten an. Ein Dutzend Leute sitzen unter der Plane auf Holzpaletten.
„Hallo, ist hier die Soliparty?“
„Ja, aber haben wir wegen dem Regen abgesagt“.
„Am Tresen ist noch Wein und Bier, wenn ihr wollt“. „Dort ist auch eine Spendendose“. „Ihre könnt euch gerne zu uns setzen“.
Wir kehren zu dem überdachten Holztresen zurück, finden unser Glück und gesellen uns zu den Kolleginnen unter der Plane. Wir sitzen ganz eng aneinander auf der Holzunterlage, die schon voller Sand ist. Gleich kommen wir ins Gespräch über die ins Wasser gefallene Party, dem Wagendorf und den Immobilieninvestitionen. Etwa 15 Leute haben hier ihre Bullis und Wohnwägen niedergelassen. Natürlich wissen sie, dass sie dort auf gestohlene Zeit leben. Es lohnt sich für sie trotzdem, sich diese Zeit zu nehmen, etwas aufzubauen und die Baupläne etwas anzuhalten. Sie haben sich dafür entschieden die Fläche in zwei zu teilen. Ein Teil fürs Wohnen und ein Teil für Freizeitsaktivitäten. Privat und Öffentlich sind von einem Zaun aus Baugittern und Brettern getrennt. Das Stück Land, auf dem wir uns befinden ist, klar, der öffentliche Bereich. Mit Aussicht auf das graue Wasser der Bucht, bitte! Vorne am Weg entlang ist ein Aufsteller, auf dem man aufschreiben soll, was man organisieren möchte. Das derzeitige Freizeitprogramm: Kino und grillen. Martin, um die dreißig, ein Bier in der Hand, erklärt uns, dass er davor in seinem Minibus am Straßenrand gelebt hat. An der Kante wie man schön sagt. Und dass es schon schöner ist, sich gemeinsam zu organisieren, das ist auch besser, wenn es darum geht eine Toilette zu haben. Früher ist er immer mit seiner Schaufel in den Park gegangen. Und das Bauprojekt? Die Lofts, die auf dem Sand errichtet werden sollen? „Es werden nicht nur Schlafbuden aus marmor-ähnlichen Stein entstehen, auch eine Coral World: das größte aller größten Aquarien, mit Haien“. Und so schließt sich der Kreis der Investorenwelt. Die Wagenburg hat Besuch von der Polizei bekommen, erzählt Martin weiter, aber es ist nichts passiert. Es sieht nämlich so aus, dass der Räumungsbefehl erst nach dem Sommer kommen wird, wenn Padovicz & co. rechtskräftige Eigentümer werden, und erwartungsgemäß eine sogenannte Räumungsklage stellen. Derzeit gehört die Fläche dem Land Berlin und sie warten, dass andere die Räumung beantragen. Sie werden sich bis dahin die Hände nicht schmutziger machen als sie eh schon sind und seit dem ungebetenen Besuch ist nichts mehr passiert. Martin meint, dass das Wagendorf die Räumung hinauszögern könnte, in dem sie auf ein Wohnrecht pochen, da sie dann faktisch seit mehreren Monaten an der Bucht wohnen. Na ja… Aber das Beste wäre es, wenn die bereits bestehende Vernetzung der Wagenplätze und Kritischen Bewohnerinnen, weitere Besetzungen an der Bucht unterstützen würde, fügt er hinzu.
Irgendwie haben die Wagenburgkumpels Kontakt zu der Anwohnerinitiative, die sich gegen das Bauprojekt gegründet hat. Die Anwohnerinnen haben darauf aufmerksam gemacht, dass sie an der Stelle von Luxuswohnungen gerne eine Kita und Sozialbauwohnungen hätten und sogar gerne ein paar Freiflächen behalten würden. Ein Bruchteil davon würden sie bekommen, meinten Bezirkspolitikerinnen. Wie und warum das Bauprojekt überhaupt genehmigt wurde, daran konnte sich keiner von ihnen erinnern.
Trotzdem klingt es nicht, als ob sich alle unter dem Aufruf „besetzt die Bucht!“ versammeln würden.
In der Zwischenzeit regnet es richtig, aber es ist gemütlich hier. Am Tresen ist sogar zu essen, super lecker in Plastik verpackte Bio-Wraps. Anscheinend ist in der Nähe ein ganz guter Supermarkt mit vollen Containern.
Plötzlich, zwischen den Regentropfen, erscheint der Karim und torkelt auf uns zu.
„Da seid ihr! Haha, der Widerstrand ist das? Nebenan ist ein Wagenplatz mit osteuropäischen Punkern, ich hab sie gefragt, seid ihr der Widerstrand? Ja, ja, Widerstrand und ich habe mit ihnen Bier getrunken, aber ihr wart nicht da, wir haben weiter getrunken und ich habe gefragt habt ihr Rebekka und Pierre gesehen und nee. Was gibt es hier zu trinken?“
Ich hole eine Flasche Weißwein vom Tresen, wandere zur Plastikplane zurück und setze mich noch enger an die anderen, weil der Regen anfängt von den Seiten rein zu kommen. Zwischen den Regentropfen kommt ein Typ angelaufen, fragt nach der Soliparty und setzt sich hin.
Er ist der Philipp, sagt er, er kommt von einer Seebrücke-Demo. Nicht für das Wasser der Bucht oder der Glaskästen einer phantastischer Coral World. Für geflüchtete kann Meereswasser der Weg in eine andere Welt sein, oder das Ende der Reise.
Die Seebrücke, die Organisation, die geflüchteten auf dem Meer rettet, wird kriminalisiert. Also fand heute eine Demonstration dagegen statt. Sie soll groß gewesen sein. Und Philipp erzählt.
Jetzt sind unsere Holzpaletten nass. Karim fragt, ob wir in eine Kneipe möchten und wir fragen Philipp, ob er mit uns in eine Kneipe möchte. Ja er möchte gerne und kennt eine sehr nette, auf dem Festland auf der anderen Seite der S-Bahn-Brücke. Und so haben wir die Nacht in einer Kneipe deren Wände das Nikotin von hundert Jahren aufgesaugt hatte, in netter Gesellschaft verbracht.
Inzwischen sind die zwei Wagenplätze, der mit Karims Punkern und der mit der öffentlichen Freizeitfläche, natürlich weggeräumt worden. Ein breiter Widerstand gab es dagegen nicht, wenn auch die Bewohnerinnen alles versucht haben. Heute, nicht mal in den Tiefen des WorldWideWeb, findet man eine Spur des Widerstrands. Ich bilde mir aber ein, dass ich von Martin gehört habe. Heute früh wurde eine Brachfläche in Lichtenberg besetzt, sie haben eine Tafel, die Anwohnerinnen dazu einlädt, sich mit ihren neuen Nachbar*innen zusammen zu tun.

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