Umgangsformen in Konfliktsituationen
Posted by loulou on November 16, 2025
Berlin ist ruppig. Zum Beispiel, gestern Nacht im Café Poznan. Das Café Poznan ist übrigens eine kitschige Kneipe auf der KArl-Marx-Allee, die schon bevor das Wort Hipster auf den europäischen Kontinent gelandet ist, aus unerklärlichen Gründen von coolen Leuten besucht wurde.
Ich saß also mit Freundinnen im Café Poznan oder genau genommen vor dem Café Poznan als die Wirtin, eine große schreiend raus kommt. „Was macht ihr hier, ihr dürft nicht da sein, es ist verboten, verboooten!!!“ Wir sitzen auf einer Baum-Umrandung vor dem Tisch, an dem weitere Freundinnen trinken.
Verstört gehen wir rein und doch wieder raus zu unserem Baum.
Marschschritte: die Wirtin erscheint wieder und schreit, brüllt und zittert vor Wut: was machen wir da, es ist verboten, wir sollen weg gehen, es ist verboten!! Ich verliere die Nerven, stehe auf und schreie ihr ins Gesicht: „Was soll die Scheiße, es ist nicht verboten, es ist ein öffentlicher Ort, wir gehen nicht weg!“ Beängstigt – oder nur genervt – geht sie wieder in ihre Kneipe und wir gehen zu einer anderen Kneipe.
Berlin ist ruppig und manchmal mehr.
Gestern war auch der 9. Mai, der Tag der Befreiung von der Naziherrschaft nach dem russischen „Kalender“. Am 9. Mai findet jedes Jahr beim Sowjetischen Mahnmal im Treptower Park eine ehrliche Gedenkfeier statt. Es ist das einzige Mal des Jahres, wo das imposante Gelände mit seinen Alleen und riesigen Steinplatten, Treppen und schwindelerregenden Statuen von den Berlinern nach Lust und Laune zum Feiern benutzt wird. Zumindest nach den Kranzniederlegungen und dem Auftritt von manchmal nationalistischen russischen Chöre. Dann sitzen kleine Gruppen, trinken, singen, spielen russische Musik. Hier eine Gruppe mit einer hervorragenden Tenorin, da entspannte Menschen mit Bier in der Hand, weiter weg ein Duo mit einer Art Dudelsack. Und dort läuft ein Rotgardist vorbei!
Vor den Toren des Geländes findet das Antifa-Volksfest statt. Im Halbkreis sind die Polit-, Fress- und Saufstände, vorne die Bühne auf der jedes Jahr Leningrad 44 spielt, und in der Mitte die Tische und Bänke für die Wodkatrinkenden. Und die Stimmung ist heiter! Der Wodka fließt, irgendwie scheint jede.r jemand beim Wodkastand zu kennen. Man sieht viele bekannte Gesichter, alle glücklich, dass wir heutzutage noch die Befreiung feiern können. Ab und zu werden Rechte und Arschlöscher am Kragen gepackt und vom Gelände rausgeschmiessen, und weiter wird gefeiert.
Und ich sitze da mit Freund*innen in dem erfreulichen Tumult. Ich versuche mitzuhalten, sie haben ja schon vor mir mit dem Trinken angefangen.
Und da, an dem Tisch vor uns, der große muskulöse Rudi haut auf einen Typ. Heftige Faustschläge hin und her, zwei Tische samt Gläser, Flaschen und Bänke fallen um, der Typ, sichtlich unterlegen, haut ab.
„Rudi, bist du ok? Was ist denn passiert?“ “ Alles ok, aber meine Brille ist kaputt.“ „Was ist denn passiert?“ „Die haben die ganze Zeit unsere Zigaretten geklaut, das kann ich nicht leiden sowas“.
Alle feiern weiter, ein oder zwei Vermittlerpersönlichkeiten reden mit den zwei verfeindeten Tischen, rundherum wird weiter getrunken und gelacht.
Um 22:00 müssen wir den Platz räumen, das Fest ist vorbei. Ich gehe noch mal zu Rudi:
„Alles ok? Du wirst bestimmt ganz schöne blauen Flecken bekommen“. „Nee, nee ich werde keine blauen Flecken haben. Wohnst du noch in deiner alten WG? Sag mal wir suchen einen Mitbewohner für unserer WG, weißt du vielleicht jemand?“
Ja es ist wohl Berlin, alles ein ziemlich ruppig und schon vergessen.
Filed under Aus 2019