All diese Stories sind erfunden, doch könnten sie echt sein…
Bouletten sind kleine frittierte Hackfleischklöße
Bouletten sind kleine frittierte Hackfleischklöße. So werden sie im Nordosten genannt, also auch in Berlin. Bullen sind nicht nur Tiere, die „Muh“ machen und ohne Grund losrennen, meist werden Polizisten damit gemeint und eigentlich werden sie öfter Bullen als Polizisten bezeichnet. Wer die Menschen, die vom Staat bezahlt werden, um für Ordnung zu sorgen, Eigentum oder die Verfassung zu schützen, als Polizisten bezeichnet, muss es wirklich wollen. Tatsächlich kommt es nicht selten vor, dass in Zusammenhängen, in denen man weiß, dass das Wort „Bulle“ vielleicht nicht gesagt werden sollte, man kurz überlegt: „Wie sagt man schon?“, „Polizist?“, „Wird es nicht komisch klingen?“.
Und dann heißt auf Französisch Boulette zwar der Fleischkloß aber auch ein Fauxpas, sprich ein Patzer.
Damit ist schon fast alles über das Thema gesagt. Fast alles, denn es ist kaum möglich über Bullenpatzer zu erzählen, ohne die Gefahr, die von ihnen ausgeht, zu erwähnen.
Bald wird es in Berlin die Meuterei nicht mehr geben. Die Meuterei ist der Name einer kollektiv betriebenen Kneipe in Kreuzberg. Sie sieht ein bisschen schmuddelig aus, verraucht, die Wände voll mit Graffiti und Plakaten und hat nie einen Innendesigner gesehen. Die Biere werden auf die Theke gestellt und darauf beschränkt sich das Geschäftsmodell.
Nun hat ein Investor das Haus gekauft und wandelt alle Wohnungen samt der Kneipe in Eigentumswohnungen bzw. Eigentumsgeschäftsräume um. Wer das Geld nicht hat, fliegt raus. Da in Deutschland Gesetze, die nicht für uns und schon gar nicht von uns gemacht wurden, den Eindruck vermitteln, dass es rechtens zugeht, muss die Meuterei nicht sofort das Feld räumen, sondern erst nach einem Gerichtsprozess. An dem Tag, wo das Kneipenkollektiv spätestens entweder einen Kaufvertrag von beinah einer Million Euro hätte unterzeichnen sollen oder den Schlüssel abgeben müssen, wurde eine Kundgebung vor der Kneipe organisiert. Sozusagen der Auftakt zum Prozess. Dort war ich mit ein paar Freund*innen verabredet.
Als ich mit Tim in die Nähe der Meuterei ankomme, Freude! Die Straße war gesperrt. Ach, Straßen ohne Autos! Menschen saßen in der Sonne auf der Fahrbahn, genossen ihr Bier und hörten live Musik zu. Eine himmlische Situation für einen schönen Nachmittag. Gut, eine Bullenwanne war zwar anwesend und auch ein paar von diesen herrlichen Menschen mit den Themenjacken „Deeskalationsteam“. Zwei Stunden standen wir auf der Straße mit unseren Freund*innen, Frank der ruhige, Amélie die aufgeregte Anarcho-Punkin, Slawitsa, die Busenkrebs hatte und keinen Busen mehr hat, und noch ein paar Bekannt*innen. Für Biernachschub wurde immer gesorgt, entweder aus der Kneipe oder aus dem nahen gelegenen Discounter.
Irgendwann hielt ein Kollektivmitglied eine Rede. Haben wir nicht zugehört, kannten schon die Situation und hatten uns Vieles zu erzählen.
Später musste leider die Anlage abgebaut werden, da die Kundgebung nur für begrenzte Zeit angemeldet war. Glücklich darüber endlich Bullen sein zu können, kamen die Bullen auf uns zu, um uns von der Straße zu vertreiben. Widerwillen folgten
wir den Anweisungen, aber alle folgten ihnen. Auf dem Bürgersteig gegenüber der Kneipe zerschnitten detailverliebte Bullen das Transparent, das zwischen zwei Bäumen hing. Buhrufe aus Tradition, eine Gruppe junger Frauen singt ein Lied, vermutlich gegen Bullerei an sich und Amélie fällt ein, dass der eine Bulle, der uns provozierend anstarrt, ihr nicht gefällt. Sie ruft immer wieder zu ihm rüber, dass er ein hässlicher Macho und ein doofer Bulle sei und ähnliche Tautologien, dass er nicht richtig hören kann, weil die Autos wieder fahren. Der hässliche doofe Bullenmacho ist nervös, greift zu einer Kamera und Amélie füllt sich persönlich provoziert. Sie filmt nun auch mit ihrem Smartphone und macht weiterhin lustige Gesten wie sich an den Eiern kraulen. Wütend kommt der Bulle zu uns rüber. Nein nicht zu uns, zu Tim.
Er redet ganz leise: „Sie sehen vernünftig aus, so sind sie, oder? Sie haben bestimmt Einfluss, können sie ihr sagen, dass sie aufhören soll? „Tim sichtlich irritiert: „Nee, ich habe keinen Einfluss. Überhaupt keinen“.
Traurig geht der Bulle zu seinem Bürgersteig zurück und irgendwann geht die gesamte Bullenherde weg. Wir sind einfach verdattert. So einfach ist es?
Bullengeschichten sind nicht immer so lustig, so absurd oft.
Fête de la musique: wir fahren nach Friedrichshain, weit weg von den belebten Kiezen, noch weiter weg als die familienfreundlichen Straßen. Neben einem Gewerbegebiet ist ein großer Park, eine riesige Wiese eher. Vorne die Straße, hinten in der Ferne die Platte. Als einziges Schmuckstück das Stahlgerippe einer ehemaligen Markthalle. Wir sind hier, weil Konzerte stattfinden, bzw. Musik aus der Dose gespielt wird.
Es ist eine selbsternannte alternative Fête de la musique: „Musik braucht Freiräume“ ist das Motto. Freiraum gibt es hier jede Menge oder eher viel Platz, nicht nur weil man nie frei ist, sondern weil für die 50 Menschen, die gelassen auf der Wiese verweilen, ein paar Bullenwannen da sind. Und es kommen noch mehr. Bald sind es sechs Stück!
Die Bullen selbst sind in voller Montur, gepanzert, und beobachten ganz
genau was auf der Wiese passiert: Musik läuft, kleine Gruppen sitzen, trinken
und essen, Kinder spielen, ein paar Hunde schlafen oder laufen rum, ein oder zwei ältere Männer tanzen. Immer wieder müssen wir die Ordnungshüter anschauen, die den Eindruck vermitteln, dass wir nicht ganz das Recht hätten, die letzten Sonnenstrahlen des Tages an diesem Ort zu genießen. Bald wollen sie auch zeigen, dass nicht alle einfach so Spaß haben können. Sie nähern sich dem Musikzelt, sprechen mit ernsthafter Miene mit dem „Veranstalter“. Dieser ist dann verpflichtet,
eine Ansage zu machen:
„Die Hunde müssen an der Leine geführt werden. Hunde dürfen nicht frei
laufen, wenn Hunde ohne Leine laufen, muss die Veranstaltung beendet werden“.
Die Bullen gehen zu ihren Wannen zurück und beobachten ganz genau die Abwesenheit von Leinen.
Glücklicherweise sind die letzten Sonnenstrahlen weg und wir fahren in die Innenstadt zurück, wo Konzerte ohne Aufsicht stattfinden.
Bullengeschichten sind absurd, aber sind oft bei weitem gewalttätiger.
Hamburg G20. Hundertschaften, Filmwägen und Wasserwerfer überall. Bevor
die „Welcome to Hell“ Demonstration los gehen kann, werden die Demonstrant*innen eingekesselt, Wasserkanonen in Einsatz gebracht, Knüppel und Tränengas eingesetzt. Demonstrant*innen müssen von einer Flutmauer springen, um nicht erdrückt zu werden. Zahlreiche Verletzte. Die nächsten Tage entfacht sich die Gewalt, Demonstrant*innen und auch Journalist*innen werden als solche beschimpft und zusammengeschlagen. Gutbürgerliche Menschen sowie weniger geachtete Gesellschaftsmitglieder enden im Krankenhaus. Etc. etc.
NSU Morde. 10 Menschen wurden von Neo-Nazis ermordet. Eine von ihnen war
Polizistin. Trotz zahlreicher Hinweise und der Bitte der Hinterbliebenen, nach einem rechtsterr oristischen Netzwerk zu suchen, hat dies die Bullerei bis zur „Selbstanzeige“ des NSU (sie hatten eine Bombe in ihrem Versteck hochgehen lassen) ausgeschlossen.
Dies sind keine Bouletten.
Umgangsformen in Konfliktsituationen
Aus dem Jahr 2019
Berlin ist ruppig. Zum Beispiel, gestern Nacht im Café Poznan. Das Café Poznan ist übrigens eine kitschige Kneipe auf der Karl-Marx-Allee, die schon bevor das Wort Hipster auf den europäischen Kontinent gelandet ist, aus unerklärlichen Gründen von coolen Leuten besucht wurde.
Ich saß also mit Freund*innen im Café Poznan oder genau genommen vor dem Café Poznan als die Wirtin, eine große schreiend raus kommt. „Was macht ihr hier, ihr dürft nicht da sein, es ist verboten, verboooten!!!“ Wir sitzen auf einer Baum-Umrandung vor dem Tisch, an dem weitere Freundinnen trinken.
Haie an der Bucht
Samstag in Juli am frühen Abend. Wolken am Himmel, Regen in der Luft.
Eigentlich wollten wir an den See zum Schwimmen; nun ist es die perfekte Gelegenheit zur Rummelsburgerbucht zu fahren. Wir wollen nicht an der Bucht schwimmen – manche behaupten es sei möglich – sondern zu einer Soliparty. Für Neuköllner ist die Rummelsburgerbucht eine ferne Insel, die man selten bereist und deren Sitten wir nicht kennen.
Eine Solotänzerin auf dem Asphalt
In der Stadt bewege ich mich grundsätzlich mit dem Fahrrad. Ein altmodisches Analogmodel, wo man ordentlich auf die Pedale drücken muss. Mein Fahrrad hat hinten einen Korb, um Einkäufe betätigen zu können, aber vorne eine gelbe Blume am Lenker, damit ich es in der Menge der parkenden Fahrräder wieder finden kann. Es ist sehr nützlich, wirklich. Stellt euch vor, ihr habt gerade euren Fahrrad vor dem Supermarkt geparkt, da wo noch Platz war, im Supermarkt habt ihr vierzig Minuten verbracht, weil ihr den Essig gesucht habt, auf der Suche ganz viele Sonderangebote bewundert habt, und an der Kasse jemand ein Smartguthaben zurückgeben wollte, weil es nicht so smart war, aber Zurückgeben ging nicht. Ihr kommt aus dem Supermarkt und steht vor einem Meer schwarzer Fahrräder bis zum Horizont. Würdet ihr noch wissen, wo genau euer Gefährt steht? Ich brauche nur einen Blick nach rechts und nach links und schon sehe ich die gelbe Blume in der Menge leuchten.
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